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Vom Scheitern in China

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Es gibt wenig das den Reisenden so schmerzt wie ein geplantes Ziel nicht erreicht zu haben,
auch wenn man sich danach noch so oft einredet, dass die Reise selbst das eigentliche Ziel wäre.
Auch wenn sich die Geschichte schon vor drei Jahrzehnten zugetragen hat,
und ich auch damals nicht gerade ein Hochleistungssportler war,
bleibt sie ein Stachel in meinen Reiseerinnerungen.

Ob Sie es glauben oder nicht, es blieb bis jetzt nur eines von zwei Zielen, die ich in all den Jahren nicht erreicht habe.
Nein, der Everest war nicht das zweite meiner unerreichten Ziele, sondern ein eher unbedeutender kleiner Tempel der definitiv nicht dort gebaut wurde, wo es der Reiseführer versprach.

Der Daoismus bringt es auf insgesamt Fünf Heilige Berge und gegen Ende einer Rucksackreise durch China habe ich es mir in den Kopf gesetzt einen von ihnen, den Tai Shan zu bezwingen.
Im Alten China galt er zwar als höchster Berg der Erde und einige Herrscher ließen sich hinauftragen, um Himmel und Erde zu opfern, die Wahrheit ist aber viel unspektakulärer als sich die chinesischen Legenden anhören.

In Wahrheit ist der Tai Shan nur 1545 m hoch, was eigentlich nach kleinem Ausflug klingt.
Das Problem stellt aber nicht der zu überwindenden Höhenunterschied von 1350 m dar, sondern die 9 km Treppen mit „offiziell“ 6293 Stufen, die zum Tempel des Jadekaisers („Yuhuang Dian“) führen.

Ich kann meine brennenden Waden noch heute fühlen, als ich am späten Nachmittag, den Tempel vor Augen umkehren musste, weil ich es sonst vermutlich nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit zurück ins Hotel geschafft zu hätte.
Ich sah die Dächer des Tempels und hätte sogar noch die Anzahl der fehlenden Stufen abzählen können, aber irgendwie ging gar nichts mehr.

Auch damals wäre es schon möglich gewesen mit einem Taxi bis zur Talstation der Seilbahn in 800 m Seehöhe zu fahren und sich ganz bequem, wie viele der jährlich inzwischen 6 Millionen Besucher bis knapp vor den Tempel bringen zu lassen, aber gegen Ende eines Backpacker-Monats in Chinas war das Budget schon etwas knapp und wir mussten es noch bis Peking schaffen.
Außerdem versprach die Legende denen, die es zu Fuß schafften, ein langes Leben, so dass die Entscheidung leicht fiel. Neben meinen körperlichen Limitationen unterschätzte ich auch die sengende Sonne und die unphysiologische Belastung durch oft kleine Stufen, die mich zwangen überwiegend auf den Zehenspitzen hoch zu steigen.

Das war aber alles nicht die eigentliche Erniedrigung, die ich mit diesem Trip verbinde.
Es war auch nicht der „Zynismus der UNESCO„, die den für mich unerreichbaren Berg im Jahr davor zum Weltkulturerbe erklärt hat.
Was wirklich schmerzte waren die Lastenträger, die an mir vorbei die Stufen hinauf liefen (!).
Angeblich machen manche von Ihnen den Aufstieg zweimal pro Tag, um Güter für den Tempel und die Kioske auf den Gipfel zu bringen.
Kleine, flinke Muskelpakete, die einen wie einen gestrandeten Elefanten aussehen lassen.

Link:
China from China
Kennen Sie Zhengzhou? mal wieder Reiseerinnerungen
Spucken Sie bitte nicht

Written by medicus58

8. Juli 2018 at 20:50

Veröffentlicht in Reisen

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