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Charles de Gaulle ist sowas von tot

Lost places sind in. Irgenwelche vergessene Industrie- oder Tourismusruinen, mehr oder weniger im Würgegriff von Flora und Fauna, füllen Bildbände und Foto-Vernissagen.
Dass man sich nach der Landung am Pariser CDG urplötzlich in so einer Dystopie wiederfindet, hätte sich vor Covid-19 auch niemand albträumen lassen.
Die Ankunftshalle im Terminal 2 B erweckte am späten Nachmittag den Eindruck eines eben beendeten Nachtfluges, aber das war ja jedem klar, der in den letzten Wochen den Himmel nach Linienfliegern absuchte. Auch dass der Schalter des Mietwagen-Verleihers verwaist war und ein handschriftlicher Zettel ein besetztes Büro auf Terminal 2 F versprach, wäre nicht nicht wirklich außergewöhnlich.
Blöd nur, dass am elektronisch gebuchten Mietvertrag die Übernahme auf Terminal 1 vermerkt war, egal Terminalwechsel schien angezeigt.
Was danach kam, war aber schon gespenstisch. Die Verbindungen zu 2 F waren offenbar gesperrt, die Rolltreppen still gelegt und mit Klebebändern abgesperrt wie nach einem Terroranschlag.
Negierte man die Absperrung und schleppte den Koffer nach oben, ging es weiter, durch menschenleere Gänge, an geschlossenen Läden vorbei, unter still gelegten Klimaanlagen und schließlich zu geschlossenen Türen. Quer über die gesamten Halle spannte sich ein Bretterverschlag.
Der Übergang zur nächsten Sektion schien versperrt, der Weg zur Verbindungsbahn zu Terminal 1 noch gefühlt einen Kilometer entfernt.
Es wäre aber nicht die Grande Nation, wenn da nicht doch eine der Türen unverschlossen wäre und man in den nächsten halbdunklen, menschenleeren und mit Planen abgedeckten Terminalabschnitt gelangen würde, wenn auch zunehmend erschöpft und zunehmend verzweifelt.
Endlich die Einstiegstelle der fahrerlosen Verbindungsbahn zu Parkplatz 1,Terminal 3, Parkplatz 2 und endlich Terminal 1.
Dort aber alles versperrt und ein dienstbarer Geist versichert, dass AVIS NUR auf F2 existiert.
Also zurück mit der schaffnerlosen Bahn, zum Terminal 2F und über einige Treppen, verdutzte Kontrolleure, denen erst das Zauberwort Car rental ein verständnisvolles Lächeln ins Gesicht zaubert.
Noch durch ein Labyrinth von Absperrungen, die unter Normalbedingungen die drängenden Taxi-Kunden bändigen sollen und dort waren die Hüttchen der Autovermieter.
Als ich 2010 auf CDG strandete, weil auf Island der Eyjafjallajökull grad den Flugverkehr lahmgelegt hat, musste man unter den drängenden, diskutietenden und ungewaschenen Menschenmassen Tote befürchten. 2021 scheint Paris Charles de Gaulle selbst verstorben zu sein.
Ich bin nicht Charlie: Weh dem der Symbole sieht
Soweit wir wissen, wurden die Anschläge in Paris auf die Redaktion des Charlie Hebdo und auf einen Supermarkt von Personen verübt, die ihre Taten als Zeichen gegen die Missachtung des Propheten, des Islams überhaupt, bezeichnet haben.
Ihre Bereitschaft als Märtyrer für Ihren Glauben zu sterben, wurde letztlich eingelöst.
In den Tagen danach haben Tausende unter dem Slogan Je suis Charlie ein Zeichen gesetzt, dass sie sich mit den Opfern solidarisieren und diese als Märtyrer für unsere Meinungsfreiheit sehen.
Viele Muslime haben sich aus eigenen Antrieb oder durch den medialen Gruppendruck (RAU im Standard: Die muslimische Community sollte Verantwortung übernehmen http://derstandard.at/2000010161500/Das-Taeterprofil) ein Zeichen gesetzt und sich von den Anschlägen der anderen distanziert.
Heute setzt Paris ein Zeichen: eine Million Menschen und hochrangige Politiker aus dem In- und Ausland werden in einen großen Gedenkmarsch der 17 Toten der jüngsten Anschläge gedenken.
Auch in Wien setzen die Bundesregierung und Vertreter verschiedener Glaubensgemeinschaften sowie viele Bürger mit einer Gedenkkundgebung „Gemeinsam gegen den Terror“ auf den Ballhausplatz in Wien ein Zeichen, das der ORF live übertragen wird.
Jetzt muss ich hoffentlich nicht auch noch erklären, dass ich mich natürlich von religiös-motivierten Mordanschlägen distanziere und selbstverständlich auch ein Bedürfnis verspüre klar zu machen, dass ich auf der Seite von Menschenrechten und Meinungsfreiheit stehe, mich ängstigt aber , die Parallele zwischen der Vorliebe aller insbesondere aber der großen abrahamitischen (Judentum, Christentum, Islam) Religionen, Zeichen sehen und setzen zu wollen, der Argumentation der Dschihadisten und unserer gesellschaftlichen Reaktion.
Unser Denken hier wurde seit über 1000 Jahren in unterschiedlichem Ausmaße von diesen drei Religionen geprägt, wogegen die schlappen 3 Jahrhunderte Aufklärung in vielen Punkten noch ziemlich machtlos sind. Persönlich habe ich – wie hier schon mehrfach erklärt – sogar die Befürchtung, dass das rationale Denken gerade in den letzten Jahrzehnten wieder massiv und von vielen Seiten zurückgedrängt wird.
Wie viele der heutigen Demonstranten in Wien, kenne ich Charlie Hebdo nicht, bin aber trotzdem davon überzeugt, dass keine Zeichnung und keine noch so verletzende Polemik jemals einen hinreichenden Grund zur (Selbst)Justiz darstellen dürfen.
Irgendwie hielte ich es aber für besser, würden wir uns von der zeichen- und symbolbehafteten Denkweise diverser religiöser oder politischer Krieger dadurch distanzieren, dass wir die Anschläge von Paris als Mordanschläge abhandeln, oder welche Paragrafen sich unsere Juristen noch dafür einfallen haben lassen, dass man mit Absicht und dem Wunsch größtmöglicher Publizität Menschen ermordet und Geisel nimmt, ohne dass wir durch (leicht zu erschütternde) Verweise auf die angebliche Toleranz und Menschlichkeit unserer Gesellschaft die Propaganda der Attentäter weiterschreiben. Auch mediale Schauprozesse, in denen sich Gläubige von dem zu distanzieren haben, was Verbrecher im Namen ihrer Religion aber nicht in ihrem persönlichen Auftrag unternommen haben, wären unterblieben, wenn wir den Unterschied zwischen biblischer Sippenhaftung und individueller Verantwortung endlich verstanden hätten.
Wenn wir das Hohelied unserer Gesellschaften allzu laut grölen, könnte es nämlich leicht passieren, dass irgendwer den anwesenden Religionsvertretern die Gretchenfrage stellt:
Welche Richtschnur hat im Konfliktfall für sie die höhere Priorität: Weltliche Gesetze oder göttliche Schriften?
Wir wissen, wie man, je nach der aktuellen Machtverteilung, die Probleme gelöst hat, durch Exegese, durch Auslegung.
Natürlich könnte man sich auch wie Jesus aus der Affäre ziehen und „dem Kaiser geben, was des Kaisers ist“, jedoch bezweifle ich ehrlich, dass der, der im tiefsten Inneren davon überzeugt ist, dass ein Gott auf seiner Seite ist, daneben noch eine höhere Autorität akzeptieren kann.
Die eigentliche Problematik die die Extremisten aller Lager aufwerfen ist ihre Verweigerung einer möglichen Falsifizierbarkeit ihrer religiösen Gesetze.
Damit fordern sie in Wahrheit unsere Gesellschaftsordnung heraus.
Es wäre schön, wenn wir bei all den Gedenkmärschen Individuen sehen würden, die dort nicht als Vertreter ihrer Religionen sondern als Vertreter ihrer selbst hingegangen wären, weil sie die Ermordung anderer Individuen beklagen wollen. Dafür lässt sich eine qualifizierte Mehrheit finden, für alles andere hieße es die Dinge allzu genau zu betrachten (http://www.william-shakespeare.de/hamlet/hamlet5_1.htm)
Und wenn wir schon in der Literatur angelangt sind möchte ich mit dem letzten Satz aus Samuel Becketts WATT schließen: Weh dem, der Symbole sieht http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43801047.html