Sprechstunde

über alles was uns krank macht

Der Patient, den ich nie hatte

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Ich war noch Student, als ich für mich in der Wiener Wipplingerstrasse 24 das Graumann Theater entdeckte. Dort wo einst Baruch Pickers Café-Restaurant Hohe Brücke residierte, zog ein ursprünglich im 15. Bezirk gegründetes Theater mit angeschlossener Schauspielschule GAMES (Graumann Acting Musical Entertainment Studio) ein. Vielleicht war es auch eher eine Schauspielschule, die in einem schmalen Raum mit gerade einmal vier (?) Sitzreihen den Studierenden die Bretter bot, auf denen sie sich ausprobieren und in der Pause fürs Buffet Brote streichen konnten. Die Namen der Absolventen lesen sich jedoch heute wie ein Who is Who der österreichischen Szene:
Michael NiavaraniViktor GernotSigrid HauserNadja MalehRupert HenningHelmuth VavraChristoph Wagner-TrenkwitzReinhold G. MoritzNicolaus HaggArthur KlemtValerie BolzanoLaura Schneiderhan, …

Einige Jahre vorher trieb ich mich noch in Dieter Haspels (1949-1916) Ensemble Theater herum, zu diesem Zeitpunkt habe ich aber schon längst den Gedanken aufgegeben „irgendwas in Richtung Regie zu machen“ und war am Weg in den Zirkus Medizin.

Das Schöne am Graumann Theater war für michr, dass ich für sehr wenig Geld hingehen konnte ohne vorher einen Blick ins Programm zu werfen, ich wurde nie enttäuscht.
Ein damals völlig unbekannter und schüchterner Niavarani ulkte sich durch ein Stück von Woody Allen, während Sigrid Hauser selbstbewusst wie heute im Habit durch Nunsense fegte, einem damals hierorts kaum bekannten Off-Broadway Hit über die Kleinen Schwestern von Hoboken, …
als weitere Augenweide wurde eine der Nonnen damals von einer Ex-Miss Vienna gespielt, die vielleicht weniger gut singen konnte als Frau Hauser, aber dafür andere Qualitäten hatte …

Die beengten Raumverhältnisse im Graumann Theater machten das Theatererlebnis noch intensiver. Füsse ausstrecken in der ersten Reihe hätte bei manchen Inszenierungen den gesamten Cast zu Fall gebracht. Trotzdem vermittelte jede Aufführung das Gefühl absoluter Professionalität. Kein Wunder, hinter all dem stand Michael A. Mohapp, der seine Profession als Schauspieler und Regisseur von den Besten gelernt hat, der den Raum nicht nur durch seine massige Gestalt dominierte.

Von 1983 bis 1994 war er Intendant des Wiener Graumann-Theaters und Leiter der Schauspielschule. Als Empfänger seines Newsletters musste ich miterleben, wie ihn damals die Stadt Wien zwang, den Betrieb einzustellen, in dem sie ihm plötzlich die Subventionen abdrehte. In seinem letzten Newsletter schrieb Mohapp, dass man ihn seitens der Stadt vor die Alternative stellte Graumann zu schließen, das offenbar anderen im Weg war, und die angefallenen Schulden abzudecken, oder ihn als Privatperson komplett auf den Schulden sitzen zu lassen. Ich kann mich an den exakten Betrag nicht mehr erinnern, aber es war viel weniger als eine Reihe anderer deutlich weniger erfolgreicher Kleinbühnen damals kassierten.

Kurz danach rief mich ein befreundeter Arzt an und ersuchte, ob er seinen Jugendfreund Mohapp vorbeischicken dürfte, da dieser ein medizinisches Problem hätte, aber nicht zu bewegen wäre „zu einem normalen Arzt oder eine normale Ambulanz“ zu gehen.
Selbstverständlich willigte ich ein und freute mich darauf den Menschen, dem so schöne Theatererlebnisse verdankte, persönlich kennen zu lernen.
Ich vereinbarte mit meinem Freund, dass Mohapp nachmittags kurz nach 16 Uhr, nach meiner Vorlesung die bis kurz vor 16:00 dauern würde, also außerhalb der regulären Ambulanzzeiten, ins AKH kommen sollten. Ich war sogar einige Minuten vor vier am Anmeldeschalter um zu erfahren, dass gegen 15:30 ein großer massiger Mann nach mir gefragt hätte und mit den Worten „dann komme ich später“ wieder gegangen wäre.
Mohapp hat sich nie mehr bei mir gemeldet und unser gemeinsamer Freund entschuldigte ihn später damit, dass er doch keinen Arzt sehen wollte ….

In den nächsten Jahren trat er fallweise im Simpel auf, war Intendant der Sommerspiele Stift Altenburg und hatte er einen Lehrauftrag für Repertoire und Rollengestaltung sowie Musikdramatische Grundausbildung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien am Institut für Gesang und Musiktheater. Er trat in Film- und TV-Produktionen auf und war ein beliebter Synchronsprecher.

In den letzten Monaten hörte ich nichts mehr von ihm. Vor wenigen Tagen teilte mir Google mit, dass er bereits 2015 verstorben ist.
Ich bin Mensch … geboren in eine Welt voll mit falschen Fragen, vielen Antworten und zuwenig Phantasie.
Am 19. März 2015 wurde er am Zentralfriedhof eingeäschert.
In wenigen Tagen, am 7. März wäre er heuer 60 geworden.

Written by medicus58

9. Januar 2018 um 18:17

Veröffentlicht in Herrgottswinkerl

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4 Antworten

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  1. Danke für die Erinnerung Hab dort auch den Jungen Niavarani (ungebändigter Wuschelkopf) u. a. kennengelernt

    Liebe Grüße Gerhard Fuchs

    0664 88493322 ________________________________

    Gerhard Fuchs

    9. Januar 2018 at 18:39

    • Gerne, war eine kleine Perle im Wiener Theaterleben und man hat Mohapp sehr schäbig behandelt

      medicus58

      9. Januar 2018 at 18:48

      • Ich vermisse ihn noch immer den lieben Michi! Danke für die lieben Worte..
        Liebe Grüsse
        Merle Saskia Krammer

        Merle Saskia Krammer

        14. Mai 2019 at 11:19

  2. Christine Kainz

    10. Januar 2018 at 17:41


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